Führungsverständnis und wie es sich in den vergangenen Jahren gewandelt hat.

Führungsverständnis

Vorab ist es vielleicht hilfreich zu wissen, dass mein Interesse an diesem Thema naturgemäß durch meinen Beruf als Erwachsenenpädagoge und dem Steckenpferd Führungskräfte-Entwicklung ohnehin groß ist. In den vergangenen Wochen wurde dieses Interesse jedoch durch die Arbeit an dem neuen Kursangebot Agile Führungskraft im digitalen Management noch einmal deutlich befeuert.

Insbesondere die Informationen zu agilen Arbeitsweisen haben mich noch einmal tiefer in das Thema Führungsverständnis und dessen Wandel eindringen lassen. Interessanterweise ist das Gros meiner Erkenntnisse keine neuen Erkenntnisse, sondern bestätigen eher meine Wahrnehmung des Wandels von klassischer zu moderner Führung.

Als 1976er Baujahr bin ich Mitte der 90er Jahre zum Berufseinsteiger geworden.

Zum damaligen Zeitpunkt gab es ein sehr einfaches und klares Führungsverständnis – zumindest dort, wo ich tätig war: Der Chef sagt an, Du führst aus. Punkt.

Zu keiner Zeit – selbst bis weit ins erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts hinein – wäre ich auf die Idee gekommen, dieses hierarchische Konzept im beruflich-sozialen Kontext ernsthaft zu hinterfragen. Zugegebenermaßen habe ich mitunter die sprichwörtliche Faust in der Tasche gemacht oder meinen Chef mit weniger freundlichen Attributen bedacht, den Gedanken, unsere Beziehung in ihrer Sinnhaftigkeit anzuzweifeln, hätte ich jedoch im Leben nicht gehabt.

Und eigentlich ist das ja auch vollkommen logisch. Schließlich bin ich sowohl im familiären, sozialen und schulischen Umfeld einer Gesellschaft aufgewachsen, die an Binärität und schwarz-weißen Mustern kaum zu übertreffen gewesen ist.

Weltpolitisch gab es Ost und West. Innenpolitisch gab es CDU und SPD – und als Zünglein an der Waage eine kleine Partei namens FDP.  Zugegeben, es gab auch zu Zeiten meiner Jugend weitere Parteien – teilweise gibt es diese Parteien sogar heute noch, wenngleich mit zahlreichen Namensänderungen und Imageaufpolierungen – doch diese hatten schlichtweg keinerlei Relevanz für das Gros der bundesdeutschen Gesellschaft.

Papa war selbstverständlich der Pater Familias und Ernährer der Familie – was für ein beispielloses Unglück für das kleine, urbane Familienleben als er von 1984 bis 1986 arbeitssuchend gewesen ist. Ich fragte mich damals mitunter, wie wir überleben sollten, wenn nur Mama Geld nach Hause brachte…

Dass Mama arbeitete, hatte etwas absurdes. Schließlich konnten die Mütter all meiner Klassenkameraden auch Zuhause bleiben und das tun, wozu eine Mama eben da ist. Gefälligst Zuhause zu sein, wenn der Sohnemann von der Schule kommt und ihm herzhaftes Mittagsmahl vor das täglich weiter erleuchtete Köpfchen zu stellen.

Ich erinnere mich dabei gern an einen Schultag kurz vor Ende des Schuljahres in der 5. Klasse.

Was meinen Lehrern zum damaligen Zeitpunkt (auch sehr lange danach noch) verborgen geblieben ist, dass Mathematik und ich ein durchaus gesundes Verhältnis zueinander haben. Aus der Entfernung.

Infolgedessen unterlag die ein oder andere Fünf bzw. schlimmer einer turnusmäßigen Wiederkehr im Arbeitenheft meines jüngeren Ich. Da sich meine Leistungen bereits seit geraumer Zeit partout nicht besserten – tatsächlich wurden sie mit steigendem Druck eher schlechter – bat mich unser Mathelehrer zum Gespräch.

Einerseits legte er mir nahe, mich deutlich mehr anzustrengen. Andererseits gab er mir den sicher nett gemeinten (mehr muß hier sicher nicht geschrieben werden) Tipp zu geben, mich doch bitte jeden Tag mit meiner Mutter nach dem Mittagessen wenigstens eine Stunde hinzusetzen, um zu üben und zu lernen.

Den Gesichtsausdruck meines Lehrers auf meine Antwort, dass das schwerlich ginge, da Mama immer erst abends von der Arbeit nach Hause kommt, habe ich nicht vergessen.

Ein schulischer Klassiker ist für mich auch noch immer der Sportunterricht. Jungs und Mädchen machten bei uns nur dann gemeinsam Sport, wenn etwa Turnen oder Brennball auf dem Tagesplan stand. Fußball, Basketball oder sogar Völkerball fand strikt getrennt statt.

Auf diese Weise vorbereitet auf alles was da noch so auf mein jüngeres Ich zukommen würde, sind meine ersten Erfahrungen im gruppendynamischen Miteinander dementsprechend auch von einem Alpha-Bild geprägt, das weder der modernen, noch der wissenschaftlichen Realität entspricht.

Wortgewand, laut, verletzend, polternd, sozial unverträglich und meinungsstark. Wer diese Fähigkeiten mitbringt, ist ein Alpha und damit automatisch eine Führungsperson.

Diese meiner Erfahrung nach als gängige Definition erscheinende Beschreibung des archetypischen Alphas, basiert auf meinen Beobachtungen der 5. Klasse. Genau jener Bub eben, wurde zum Klassensprecher gewählt. Am Mittwoch der ersten Woche in diesem Klassenverband.

Auch wenn ich selbst nicht auf den Mund gefallen war, fehlte es mir doch an Schlagfertigkeit und insbesondere der Bereitschaft ein anderes Kind der breiten Öffentlichkeit gegenüber mit gut gezielten Worten der Demütigung preiszugeben. Und so stand bei der „geheimen“ Wahl zum Klassensprecher am Ende neben meinem Namen nur eine einzige Stimme.

Der Alpha hingegen hatte neben meiner Stimme nur drei weitere an einen anderen Jungen verloren, der zusammen mit zwei seiner alten Schulfreunde in diese Klasse gekommen war.

Das einzig aufgestellte Mädchen hatte zwar keine Stimme erhalten (wenigstens war ich klug genug, mich selbst zu wählen…), nach der Wahl jedoch ein großes Lob für ihren Mut vom Klassenlehrer erhalten, sich überhaupt zur Wahl zu stellen.

Ich könnte noch einige Dutzend weitere ähnliche Beispiele schulischer, sowie außerschulischer, sportlicher Aktivitäten aufführen, um darzulegen, weshalb es für mich vollkommen logisch erscheinen musste, dass Führungsverständnis auf Hierarchie und Top-Down-Mentalität beruht. Und ich wette, jeder von Ihnen, die etwa zu meiner Zeit oder vor mir aufgewachsen sind, kann ebenfalls noch Dutzende weitere Beispiele einbringen.

Ich möchte hier jedoch gerne den Wandel des Führungsverständnisses im Laufe der Zeit – insbesondere der jüngeren Vergangenheit – genauer unter die Lupe nehmen. Und dabei stellte sich mir erst einmal die Frage, woher meine eigene Akzeptanz für ein Führungsverständnis rührt, das heutzutage kaum noch tragbar erscheint.

Im nächsten Schritt werde ich mich der wissenschaftlichen Definition des Alphas widmen und dessen tatsächlicher Bedeutung in einer Gruppe. Denn unabhängig von der obigen, unscharfen und erfahrungsgemäß verbreiteten Definition des Alphas, ist seine Position in einer Gruppe durchaus von einiger Bedeutung.

In diesem Sinne bis zum nächsten Mal.

Verwandte Artikel: